ÇUKUROVA ÜNÝVERSÝTESÝ-TÜRKOLOJÝ ARAÞTIRMALARI MERKEZÝ
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ENKULTURATION UND SPRACHE: EIN
UNTERSUCHUNGSMODELL ZUM VERGLEICH DER
ENKULTURATIONSBEDINGUNGEN UND
SPRACHERWERBSPROZESSE BEI TÜRKISCHEN
MIGRANTENKINDERN IN DEUTSCHLAND

The Process of Culturation and Language: Comprasion of the Language
Learning processes of the German and Turkish Children Through Cultural

Interaction

Þerife YILDIZ

Hacettepe Üniversitesi, Edebiyat Fakültesi, Alman Dili ve Edebiyatý Bölümü, Ankara.

syildiz@hacettepe.edu.tr

Fýrat Üniversitesi Sosyal Bilimler Dergisi

Fýrat University Journal of Social Science
Cilt: 15, Sayý: 2, Sayfa: 69-80, ELAZIÐ-2005

ÖZET

Dil ve sosyal bilimlerle ilgili çalýþmalarda genellikle ne dilsel ne de sosyalbilimsel süreci
analiz eden, alana özgü araþtýrma metotlarý yayýmlanýr. Bu çalýþmada, enkulturasyon koþullarý ile
dil edinme sürecinin analizini kapsayan, disiplinlerarasý bir araþtýrma modeli teorik ve empirik
yönleriyle ortaya konmaktadýr.

Anahtar Kelimeler: Enkulturasyon, göçmen ailesi, dil edinimi, proband.

ABSTRACT

In the studies related to the Language and Social sciences, the research methods peculiar to
the field usually analyzing neither lingual nor the socio-scientific process are published. In this
study, inter-disciplinary research model including the Unculturation terms and the analysis of the
process of acquiring language is put forward with its theoretical and empirical aspects.

Key Words: Unculturation, Immigrant Family, Acquiring Language, Subject.

1.    Einführung

In der wissenschaftlichen Literatur für Sprachwissenschaft und
Sozialwissenschaften werden fast immer die fachspezifischen Untersuchungsmethoden
veröffentlicht, die entweder die sprachlichen oder die sozialwissenschaftlichen Prozesse
analysieren. Im vorliegenden Beitrag wird jedoch ein interdisziplinäres
Untersuchungsmodell dargelegt, die sowohl die Analyse der Enkulturationsbedingungen
als auch die der Spracherwerbsprozesse einschließt.

Im Folgenden werden zuerst die theoretischen Aspekte dieses interdisziplinären
Untersuchungsmodells erörtert und dann die empirischen. Ausgehend von den
theoretischen Erörterungen werden dann Fragestellungen entwickelt, die für die
empirischen Untersuchungen erforderlich sind. An den theoretischen Teil schließen sich
die Abschnitte, in denen die Untersuchung für Enkulturationsbedingungen und die
Untersuchung zum Spracherwerb beschrieben werden.

2.    Theoretische Aspekte der wissenschaftlichen Begleitung

2.1. Zum Begriff Enkulturation

Der zum ersten Mal 1947 von dem amerikanischen Kulturanthropologen
Herskovits einge- führte Begriff Enkulturation ist das grundlegende Lernen von Kultur
(Gudjons 1997, S. 166). Sie ist sozusagen die kulturelle Geburt des Menschen. Durch den
Basisprozess Enkulturation wächst das Kind in die Kultur hinein. Es muss in diesem
Zusammenhang begrifflich bestimmt werden, was zur Kultur gehört:

Zur Kultur gehören: die Sprache mit ihren Begriffen und Bedeutungen, die dem
Menschen sich selbst und seine Welt verständlich, seine Wahrnehmungen und Gedanken
sichselbst und den Mitmenschen mittelbar machen und eine sinnvolle Weltansicht und
Matritze des Lebens entwerfen; die moralischen Normen und Verhaltensmuster, die sein
Leben regeln; die emotionalen Ausdrucksweisen, die sozialen Organisationen, Rollen und
Spielregeln, die sein Verhalten zum Mitmenschen bestimmen, (Kron 1994, S. 48).

Nach wie vor stellt die Familie die primäre Enkulturationsinstanz in der
Gesellschaft dar. In der Familie werden kulturelle Werte und Normen vermittelt und
erlernt, die prägenden Charakter für die Erziehung und das Lernen haben.
Erziehungspraktiken der Eltern sind abhängig von den kulturellen Werten und Normen
sowie den persönlichen Eigenschaften der Eltern. Die Herkunftskultur prägt auch in der
dritten Generation der türkischen Migranten die familiäre Enkulturation in Deutschland.
In der Auseinandersetzung mit der Herkunftskultur wird häufig versucht, eigenkulturelles
Erziehungs- und Sprachverhalten weiterzupflegen. Während der familiären Enkulturation
haben die türkischen Eltern die Möglichkeit, eigene Erziehungsvorstellungen und
sprachliche Wünsche auf ihre Kinder zu projizieren.

Bei diesem eigenkulturellen und eigensprachlichen Wunsch spielt die soziale und
kulturelle Verunsicherung zahlreicher deutscher Eltern auch eine Rolle, weil sie dann für
Migrantenfamilien nicht immer eine Vorbildsfunktion erfüllen können. Dies ist
insbesondere in Wohnvierteln mit deutscher Unterschichtsstruktur der Fall. Für viele
deutsche Familien kann festgestellt werden, dass der gesellschaftliche Wertewandel der
letzten Jahrzehnte zu einer Enttraditionalisierung überlieferter Leitvorstellungen geführt
hat. In Bezug auf die Erziehung manifestiert sich dieser Wandel in der Forderung nach
mehr Individualismus im Eltern-Kind-Verhältnis. Wie konflikthaft viele deutsche Eltern
die Umsetzung dieser veränderten Erziehungsvorstellungen erleben, wird nicht nur von
deutschen Medien, aber auch von deutschen Wissenschaftlern diskutiert. Suche der
Migrantenfamilien nach einer einzigen Normalität in einer Gesellschaft, in der es mehrere
Normalitäten gibt, erschwert die Enkulturation ihrer Kinder. Die Enkulturation vollzieht
sich manchmal eher in Richtung der idealisierten und zum Mythos erhobenen
Herkunftskultur. Für die Integration der Migranten erweist sich die kulturspezifische
Ausformung der Grundstruktur der Persönlichkeit als notwendige Voraussetzung. Dieser
Prozess braucht den analytischen Hilfsbegriff der Enkulturation, um Einsicht in die
Wechselwirkung von Kultur und Sprache zu gewinnen. Ferner ist Enkulturation etwas
anderes als Sozialisation, die Eingliederung in eine soziale Gruppe bedeutet.
Enkulturation bedeutet aber das Hinenwachsen des Kindes in eine kulturelle Gruppe.
Nach Claessens wird bei der Eltern-Kind-Beziehung die Übernahme kulturspezifischer
Normen, Maßstäbe und Symbole vollzogen und eine kulturelle Grundstrukturierung der
Identität zwar weitgehend aber nicht vollkommen geprägt (Claessens 1972, S. 121).

Ý.Ý. Enkulturation und Sprache

Nach diesen Ausführungen über die Enkulturation wird deutlich, dass das in
Deutschland vorhandene Kulturgebilde verstanden und gelernt werden muss, wenn es die
Integration der Migrantenkinder zum Ziel gesetzt wird. Das wichtigste Medium dieses
Lernprozesses ist die Sprache. Die Sprache spielt zwar bei der Verinnerlichung von
kulturellen Werten die wichtigste Rolle, sie kann aber nicht die gesamte kulturelle
Realität abbilden, sondern nur deren Struktur: Die Sprache verhält sich zur Wirklichkeit,
wie eine Landkarte zum Gelände (Hörmann, 1967).

Im Medium der Sprache wird das Kind in das bestehende Kulturgebilde eingeführt
und lernt dabei einerseits seine kulturelle Identität, andererseits seine individuelle

Identität herauszubilden. Die kulturelle und individuelle Identität stehen in
Wechselbeziehung zueinander. Die kulturellen Normen beeinflussen die Identität
einzelner Individuen, einzelne Individuen bringen neue kulturelle Leistungen. Durch
diese Dynamik wird die Entwicklung kultureller und individueller Identität möglich
(Abalý 2000, s. 311).

Der Mensch passt sich nicht nur in das vorhandene Kulturgebilde an, sondern er
prägt es auch mit. Auch das Mitprägen der vorhandenen Kultur setzt das Erlernen der
Sprache voraus. In den Enkulturationsinstitutionen Familie und Kindergarten werden die
Kinder vor allem durch die Sprache in spezielle Bereiche der Kultur eingeführt. Mit
anderen Worten wird das Kind enkulturiert. Im Laufe des Enkulturationsprozesses wird
beim Kind eine Art kognitive Struktur gebildet, die aufgrund gewisser kultureller und
sozialer Dispositionen gegeben ist. Gleichzeitig müssen Spracherfahrungen und
Sprachhandlungen erlebt und verinnerlicht werden, aufgrund derer sich die in den
Dispositionen vorgegebenen Strukturen auch entwickeln können. Sprachentwicklung
kann also als Strukturgenese verstanden werden, die u.a. auf das Lernen in der Familie
und im Kindergarten angewiesen ist. Kulturen in Industriegesellschaften sind als
komplexe, widersprüchliche und dynamische Systeme zu betrachten. Trotzdem können
sie einen sprachlichen Filter für Wahrnehmungen und Bedeutungsgebungen bieten.

2.3. Türkische Migrantenfamilien

Es ist zu beachten, dass türkische Migrantenfamilien keine einheitliche
Familienstruktur und Erfahrungswelt aufweisen. Es existiert nicht die Migrantenfamilie
mit einheitlichem Erziehungs- und Sprachverhalten.

Nach dem Individualismus- und Kollektivismusindex, der von Hofstede aufgrund
einer in 53 Ländern durchgeführten empirischen Untersuchung erstellt wurde, ist die
Gesellschaft in der Türkei, aus der die türkischen Migranten stammen, überwiegend
kollektivistisch orientiert, während die deutsche Gesellschaft eher individualistisch
geprägt ist (Hofstede 2001, S. 70). Türkische Familien in Deutschland bilden zwar eine
Übergangsgesellschaft, dürfen aber dennoch mehr ihrer ursprünglichen und traditionell
kollektivistischen Kultur zuzurechnen sein (Kleiter 2004, s.38). Nach dem nieder¬
ländischen Kulturanthropologen Hofstede (2001) lernen die Kinder in kollektivistischen
Familien generell in ‘Wir” -Begriffen zu denken, in individualistischen Familien eher in
“Ich” -Begriffen. Die vorschulischen Einrichtungen in Deutschland haben das Ziel, den
Individualismus der Kinder zu fördern. Individualistisch orientierte Gesellschaften sind
im Allgemeinen freier, offener und aufnahmebereiter als die tendenziell geschlossenen
kollektivistischen Gesellschaften. Das Ausmaß des Kollektivismus und Individualismus
ist bei einzelnen Migrantenfamilien unterschiedlich ausgeprägt. Das eigenkulturelle Alte
wird bei tendenziell kollektivischtischen Migrantenfamilien mehr betont als das
zweitkulturelle Neue. Das zweitkulturelle Neue wird nur soweit aufgenommen, wie es
nötig ist, um in Deutschland zu überleben. Migrantenfamilien mit intensiveren und
tieferen individualistischen Zügen als die o.g. erste Gruppe dürften offener sein, wenn es
um die Aufnahme und das Lernen des Neuen geht (Vgl. Hofstede 2001, S. 85). Es kann
jedoch davon ausgegangen werden, dass in beiden Migrantenfamilien das Alte nicht
vollständig ersetzt, sondern im Neuen untergründig weiterklingt (Walter & Adam 2003,
S. 253).

2.4. Ziele des Untersuchungsmodells

1.    Das hier erörterte Untersuchungsmodell bietet eine seltene Möglichkeit, den
konstitutiven Zusammenhang von Enkulturation und Sprache unter der besonderen
Berücksichtigung des Kollektivismus und Individualismus zu erforschen. Es soll
empirisch überprüft werden, ob die Kinder der Migrantenfamilien mit bestimmten
individualistischen Zügen die Zweitsprache Deutsch besser lernen als die Kinder der
kollektivistisch orientierten Migrantenfamilien.

2.    Unter Berücksichtigung der obigen Fragestellung wird weiterhin analysiert, wie
der deutsche Kindergarten mit türkischen Eltern zusammenarbeiten kann und wie die
Kinder der kollektivistisch orientierten Migrantenfamilien durch die interkulturelle
Erziehung gefördert werden können.

3.    Durch den Vergleich der lexikalischen und kognitiven Leistungen kann
festgestellt werden, ob die Migrantenkinder, die in deutschen Kindergärten sprachlich
gefördert werden, eindeutig über bessere lexikalische Kenntnisse verfügen als die Kinder,
die nicht eine vorschulische Sprachförderung genießen.

4.    Anhand der im ersten und zweiten Punkt erwähnten Analysen werden
schließlich praktische Förderungsmaßnahmen vorgeschlagen, die sich auf die
sprachdidaktischen Aspekte der Vorschulerziehung beziehen.

3. Empirische Untersuchungen

Die Situation der türkischen Migrantenkinder in Deutschland ist durch
interdisziplinäre Phänomene gekennzeichnet, die sich gegenseitig beeinflussen.
Ausgehend von einem interdisziplinär orientierten Ansatz sieht das Untersuchungsmodell
zwei Untersuchungsschwerpunkte vor, die sich inhaltlich aufeinander aufbauen:

1. Untersuchung der Enkulturationsbedingungen,

F.Ü.Sosyal Bilimler Dergisi 2005 15 (2 )

2. Durchführung des Intelligenztests und Untersuchung zum Zweitspracherwerb.

3.1.    Untersuchung der Enkulturationsbedingungen

Diese Untersuchung kann nicht das riesige Feld der Enkulturation umfassen. Sie
konzentriert sich auf die familiäre Enkulturation. Bei der Untersuchung der familiären
Enkulturationsbedingungen geht es insbesondere um den Aspekt des Kollektivismus und
des Individualismus. Es soll überprüft werden, inwieweit die türkischen
Migrantenfamilien kollektivistisch oder individualistisch geprägt sind. Im
Zusammenhang ihrer kollektivistischen oder individualistischen Orientierung werden
dann die besonderen Lernformen oder Lerntraditionen in Migrantenfamilien erforscht.

3.1.1.    Leitfragen für die Untersuchung

Die Untersuchung der Enkulturationsbedingungen hat folgende Ziele:

1.    Welche kollektivistische und individualistische Züge lassen sich bei
Migrantenfamilien feststellen?

2.    Welche kulturelle Orientierung haben die Eltern? Eher heimatliche oder eher
Deutschland bezogene?

3.    Welche Erziehungseinstellungen haben die kollektivistischen und
individualistisch orientierten Eltern?

4.    Welche Lernformen werden bei kollektivistischen und individualistisch
orientierten Migrantenfamilien tradiert?

5.    Welche Sprachkenntnisse haben die kollektivistischen und individualistisch
orientierten Eltern?

3.1.Ý.    Untersuchungsdesign

Um die subjektive Sicht der Eltern zu erheben und zu analysieren, wird für die
Erforschung der Enkulturationsbedingungen türkischer Migrantenkinder eine Form der
qualitativen Untersuchung gewählt. Es handelt sich dabei um das Leitfadeninterview, das
zum Standardverfahren qualitativer Interviewführung gehört (König/Zedler 2002, S. 59).
Die Verfasser gehen davon aus, dass ein thematisch orientiertes Leitfadeninterview ein
effektives Verfahren sein kann, konkrete Aussagen über den Gegenstand der
Untersuchung zu erhalten. Bei einem Leitfadeninterview kann einerseits von den
vorläufigen theoretischen Aspekten ausgegangen werden, andererseits den Aussagen der
Migrantenfamilien Priorität eingeräumt werden

3.1.3. Auswahl der Probanden

An der Untersuchung für Enkulturationsbedingungen können 30

Migrantenfamilien mit türkischer Herkunft teilnehmen. Um möglichst aufschlussreiche
und vergleichbare Daten zu erheben, sollten Eltern mit verschiedenem Bildungsniveau,
Beruf, Herkunftsort und unterschiedlicher Aufenthaltsdauer sowie Kinderzahl
berücksichtigt. Der Vergleich Großstadt-Kleinstadt ist ein weiterer Aspekt der Auswahl
der Probanden. Aus diesem Grund sollten Migrantenfamilien mit ländlichem und
städtischem Wohnort in die Untersuchung aufgenommen. Vor der Auswahl der
Migrantenfamilien kann eine Informationsveranstaltung für die türkischen Eltern zum
Thema Vorschulerziehung stattfinden. Diese pädagogische Veranstaltung kann
gleichzeitig dazu dienen, erste Kontakte mit Eltern anzuknüpfen und eine
Vertrauensatmosphäre einzuleiten.

3.1.4.    Datenerhebung

Nach bisheriger Forschungserfahrung mit Migrantenfamilien ist es nicht immer
angebracht, mit einem Kassettenrekorder oder mit einem anderen Aufnahmegerät in die
Wohnung einer Migrantenfamilie zu gehen und eine qualitative Untersuchung
durchzuführen. In diesem Falle besteht die Gefahr, dass sich die Migranten nicht offen
äußern. Nach einer Voruntersuchung bei einer Migrantenfamilie können die Daten durch
8 Leitfragen erhoben und die Antworten darauf durch den Interviewer notiert. Direkt nach
dem Interview sollten diese Notizen im Detail verschriftet werden. Das
Leitfadeninterview sollte sprachlich flexibel durchgeführt werden, je nach Bedarf in
türkischer oder deutscher Sprache. Dabei haben die Familienmitglieder die freie
Sprachwahl. Für jede Migrantenfamilie sind zwei Sitzungen vorgesehen.

3.1.5.    Auswertung der Daten

Die Daten des Leitfadeninterviews können durch ein analytisch-typologisches
Verfahren Ausgewertet. Bei der Auswertung soll versucht werden, den
Untersuchungsgegenstand aus subjektiver Sicht der Migrantenfamilien zu analysieren.
Anhand der aufbereiteten und analysierten Daten sollen Einzellfalldarstellungen
vorgenommen werden. Zum Schluss können die Ergebnisse der Analyse in einem
Forschungsbericht festgehalten werden, der sowohl die Ergebnisse der
Enkulturationsuntersuchung als auch die Ergebnisse der Untersuchung des Spracherwerbs
berücksichtigt.

3.2. Untersuchung zum Zweitspracherwerb

Der Begriff Migrantenkinder schließt nicht nur die Kinder ein, die in die
Bundesrepublik eingewandert sind, sondern auch die Kinder, die in Deutschland geboren
und aufgewachsen sind. Gewöhnlich wird die erste Sprache, die ein Kind erwirbt, als

Muttersprache oder Erstsprache bezeichnet. Sie ist in der Regel auch die Familiensprache.
Unter Zweitsprache wird jene Sprache verstanden, die ein Individuum als zweite, zeitlich
nach der ersten erwirbt. Migrantenkinder in Deutschland erwerben die Zweitsprache
Deutsch häufig sukzessiv. Bevor sie mit drei Jahren in den Kindergarten kommen, haben
sie also unter Umständen wenige Kontakte zur deutschen Sprache. Viele Migrantenkinder
in Deutschland verfügen über unzureichende Deutschkenntnisse. Auch wenn sich in der
gesprochenen Sprache häufig kaum Defizite erkennen lassen, so scheitert ein erheblicher
Teil von ihnen im schriftsprachlichen Bereich bzw. in der Bildungssprache Deutsch.
Grundsätzlich beschränken sich die sprachlichen Probleme der Migrantenkinder nicht auf
einen einzigen Aspekt von Sprache. Die vorgesehene Untersuchung zum
Zweitspracherwerb begrenzt sich aber bewusst auf den deutschen Wortschatzbereich im
Vorschulalter. Es geht also um den Erwerb von lexikalischem Wissen und um die Frage,
wie lexikalische Verarbeitungsdefizite bei spracherwerbsbenachteiligten
Migrantenkindern türkischer Herkunft entstehen können.

3.2.1. Leitfragen für die Untersuchung

Migrantenkinder sind häufig nicht in der Lage, aus dem Inputkontext neue Wörter
in ihr deutsches Lexikon aufzunehmen. Es ist zu überprüfen, ob und inwieweit die
lexikalischen Defizite der Migrantenkinder auf kulturelle, soziale und kognitive
Benachteiligungen zurückzuführen sind. Im vorliegenden Artikel wird angenommen, dass
die Migrantenkinder mit lexikalischen Problemen oft nicht in der Lage sind, die
erforderlichen kognitiven Erwerbsstrategien einzusetzen, um angemessene lexikalische
Repräsentationen zu erstellen. Leitfragen für die Untersuchung zum Spracherwerb
können wie folgt formuliert werden:

1.    Über welches lexikalisches Wissen in der Zweitsprache Deutsch verfügen die
Migrantenkinder türkischer Herkunft in deutschen Kindertagestätten in ihrem dritten
Kindergartenjahr?

2.    Welche Formen der zweisprachigen Mischung hinsichtlich des lexikalischen
Wissens lassen sich bei Migrantenkindern feststellen?

3.    Lassen sich Unterschiede hinsichtlich des Erwerbs verschiedener Wortarten
feststellen?

4.    können die in Deutschland geborene Migrantenkinder, die durch einen
mangelhaften deutschen Wortschatz auffallen, die kognitiven Erwerbsstrategien
genügend einsetzen?

5.    Inwieweit können die defizitären lexikalischen Repräsentationen durch die
familiären Enkulturationsbedingungen erklärt werden? Können sie auf sprachliche,
kulturmilieubedingte Lernvoraussetzungen in der Familie zurückgeführt werden?

3.2.2.    Untersuchungsdesign

Die Untersuchung zum Spracherwerb konzentriert sich auf den Erwerb des
deutschen lexikalischen Wissens der Migrantenkinder in Kindertagesstätten. Die Daten
über das Lexikon der Zweitsprache Deutsch werden durch die fast mapping-
Untersuchung erhoben. Der Prozess, in dem die Kinder Wortformen aus dem Inputkontex
in ihr Lexikon aufnehmen und mit Bedeutung belegen, kann sehr schnell ablaufen. Dieser
Prozess wird als fast mapping bezeichnet. Fast mapping ist der Prozess des schnellen
Abbildens. Der Erwerb eines neuen Wortes schließt zwei Prozesse ein. Im ersten Prozess
identifiziert das Kind Referenten und Bedeutungen. Im zweiten Prozess isoliert es
mögliche Wortformen. Im dritten Prozess integriert das Kind die ersten beiden Prozesse.
Es bildet die Referenten und Bedeutungen auf die Formen ab. Mit anderen Worten wird
eine „Lauthülse“ mit einem Objekt, einer Handlung oder mit einer Eigenschaft assoziiert
(Rothweiler 2001, S. 257 ff). Erste fast mapping-Studien stammen von Carey und Bartlett
(1978), die mit dreijährigen Kindern gearbeitet haben. In Deutschland wurde das fast
mapping - Experiment, das als fast mapping German- Test (FMG-Test) bezeichnet wird,
von Rothweiler (2001) durchgeführt.

3.2.3.    Auswahl der Probanden

In die fast mapping-Untersuchung werden nicht die sprachbehinderten Kinder
aufgenommen, sondern die sprachnormalen Migrantenkinder. Für die Berücksichtigung
sollte eine Auswahl von Probanden stattfinden. Das Untersuchungsmodell hat keinen
ausschließlich quantitativen Forschungsschwerpunkt mit einer großen Stichprobe,
sondern eher einen qualitativen Forschungsschwerpunkt mit einer kleinen
Versuchsgruppe. Ziel der Probandenauswahl ist, dass die Probandengruppe aus 40
Migrantenkindern türkischer Herkunft der Altersgruppe 3-6 besteht, und zwar 30 für die
Bildung einer Versuchsgruppe und 10 für die Bildung einer Kontrollgruppe, die für den
Vergleich der lexikalischen Daten erforderlich ist. Bei den 30 Kindern handelt es sich um
die Kinder der Migrantenfamilien, die an der Untersuchung für
Enkulturationsbedingungen teilnehmen. Bei der Auswahl der Versuchskinder spielen
nicht nur die Ziele des Untersuchungsmodells (Abschnitt 2.2.4) und die Leitfragen für die
Untersuchung (Abschnitt 3.2.1) eine Rolle, sondern auch die Bereitschaft der
Migrantenfamilien zur Mitarbeit eine Rolle. Die Versuchsgruppe soll aus 15 Mädchen
und 15 Jungen türkischer Herkunft bestehen, die an der Untersuchung beteiligten

Kindertagestätten in Deutschland besuchen. Die Wissenschaftler, die eine derartige
Untersuchung durchführen, sollten sprachliche Voraussetzungen bringen. Ein weiterer
Aspekt der Auswahl ist die Aussage der betreffenden Erzieherin. Die Einschätzungen der
Erzieherinnen über die Kinder, ob die betreffenden Kinder lernbehindert sein können,
sollen ebenfalls berücksichtigt werden.

3.2.4.    Datenerhebung

Für die Erhebung der Daten werden die Kinder Versuchsgruppe und die der
Kontroll- Gruppe zwei Tests unterzogen:

1.    Der fast mapping-Test (FMG-Test) und

2.    Der non-verbaler Intelligenztest CMM (Columbia Mental Maturity Test)
(Schuck u.a. 1975). Die Durchführung des non-verbalen Intelligenztests hat zwei Gründe.
Durch den Intelligenztest soll sichergestellt werden, dass die sprachlichen Defizite der
Versuchskinder nicht auf ein außersprachliches kognitives Defizit zurückzuführen sind.
Zweitens kann durch den nicht verbalen Intelligenztest überprüft werden, ob die Kinder
der Versuchsgruppe und die Kinder der Kontrollgruppe über ähnliche kognitive
Leistungen verfügen. Dies ist für den Vergleich des lexikalischen Wissens der am Projekt
teilnehmenden und nicht teilnehmenden Kinder von großer Bedeutung. Für die
Durchführung des fast mapping-Tests sollen den betreffenden 40 Kindern kurze
Zeichentrickfilme vorgeführt werden, die keine Dialoge enthalten. Alle Kinder der
Versuchs- und Kontrollgruppe sollen an vier Testsitzungen teilnehmen und einzeln
getestet werden. Auch die fast mapping-Videos sollen die Versuchskinder einzeln sehen,
bzw. in Anwesenheit des Verfassers dieses Aufsatzes und einer studentischen Hilfskraft.
Die Testsitzungen können in Kindertagesstätten oder in den Wohnungen der Kinder
durchgeführt werden, und zwar nachmittags in einer ungestörten Atmosphäre. Die
Testsitzungen für die fast mapping-Untersuchung werden auf Audio-Kassetten
mitgeschnitten.

3.2.5.    Auswertung der Daten

Die Ergebnisse des fast mapping-Tests und die des non-verbalen Intelligenztests
durch ein quantitatives und itemspezifisches Verfahren ausgewertet. Durch diese
Methoden, die eine aufschlussreiche Standardisierung ermöglichen, können die Daten
über ein bestimmtes Phänomen des lexikalischen Erwerbs anschaulich verglichen
werden. Nach der Auswertung der lexikalischen Daten werden die Ergebnisse der
Untersuchung zum Spracherwerb und die der Untersuchung für
Enkulturationsbedingungen verglichen. Somit fließt die Auswertung der Daten zur

Enkulturation und Sprache...
lexikalischen Untersuchung in die Fallanalyse der Enkulturationsbedingungen.

4. Schlussbemerkungen

Die Sprache ist das wichtigste Medium der langfristigen Enkulturation in
individualistischen und kollektivistischen Gesellschaften. Sie bestimmt sowohl die
Gedanken als auch soziale und kulturelle Sprachhandlungen. Inwieweit die bikulturelle
Enkulturation der Migrantenkinder in die Kultur des Einwanderungslandes Deutschland
von Spracherwerbsprozessen hängt, lässt sich fast unendlich diskutieren, solange keine
entsprechenden empirischen Daten vorliegen. Durch das in diesem Beitrag dargestellten
Untersuchungsmodell können neue empirische Zusammenhänge festgestellt und die
wissenschaftliche Diskussion über die Verbindung von Enkulturation und Sprache
vorangetrieben werden. Das Modell erfasst die Enkulturationsbedingungen, den Aufbau
und Erwerb von sprachlichen Repräsentationen, wobei die Bedeutung der Zweitsprache
Deutsch für den Enkulturationsprozess verdeutlicht werden kann. Schließlich können die
Ergebnisse eines solchen Untersuchungsmodells pragmatische Hinweise für ein
interkulturelles Leben in Europa geben.

Literatur

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Deutschland. In:
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Arbeitnehmern
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